Mein 9. November

Gedenkveranstaltung am 9. November 2018 in der Dauerausstellung WIR WAREN NACHBARN im Rathaus Schöneberg

Die visuellen „Gravuren der Zeitgeschichte im gelebten Leben“ der Ausstellung konnten mit auditiven kollektiven Erinnerungen temporär ergänzt werden durch eine mehrkanalige Klangperformance.

Die Begrüßungsrede:

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde in der Kunst und im Leben!

Es ist gut, dass es heute, an diesem besonderen Schicksalstag der Deutschen so vielfältige Veranstaltungen gibt. Auch hier im Rathaus. Zum 80. Mal jährt sich die Pogromnacht, die als Startschuss gilt für die Vernichtung der Juden. Das Gedenken daran ist umso wichtiger, als wir zunehmend erleben müssen, dass Antisemitismus wieder aufflammt in Worten wie in Taten. Heute. In Deutschland. In Berlin. In unserer aufgeklärten Zeit. Dem muss mehr entgegengesetzt werden als Sonntagsreden und Appelle von Politikern. Wenngleich die natürlich total wichtig sind. Wir können keinen Schlussstrich ziehen unter die deutsche Vergangenheit.
Manch eine*r sagt, „dieses verordnete Gedenken von oben mit immer den gleichen Worten habe ich über.“ Dem könnte diese Dauerausstellung neue Impulse geben mit ihren Alben über persönliche Schicksale bekannter wie unbekannter ehemaliger jüdischer Nachbar*innen.
Andere wiederum sind vielleicht mit den Mitteln der Kunst für eine neue Aufmerksamkeit zu gewinnen.
Ich glaube an die Kraft der Kunst. Elektroakustischer Klang in der Tradition der Konkreten Musik (Musique concrète) ist das Mittel, das ich einsetze, um daran zu erinnern, dass in der Nazizeit so viele Stimmen für immer verstummten.
Wir können mit den Füßen stolpern und mit den Augen. Ich möchte Sie stolpern lassen mit den Ohren.
Ich bin glücklich, dass ich die dokumentarischen Arbeiten hier temporär um einen künstlerischen Aspekt erweitern kann. Sechs Frauen und ein Mädchen habe ich ausgesucht, exemplarisch, an die ich klingend erinnern möchte, inspiriert unter anderem von Alben der Ausstellung: Cora Berliner , Marianne Cohn , Lilli Henoch , Doris Kaplan , Luise Kautsky , Maria Leo und Bertha Markus
Für sie setze ich meine Akustischen Stolpersteine.

Das Projekt wurde gefördert vom Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg von Berlin, Abt. Bildung, Kultur und Soziales.

Aus dem Gästebuch:

Liebe Frau Fabian,
die Opfer der Shoah waren unzählige, aber das Sterben war jedesmal individuell. Dies höre ich, wenn ich ihre akustischen Stolpersteine betrete. Geräusch und Ton ringen miteinander. Solange Ton da ist, ist noch nicht alles verloren. Die Einsamkeit ist hörbar, aber die Musik legt sich um die Sterbenden und Toten, wie ein schützender Mantel. Vielleicht auch um uns Lebende,
J.B.

! Es ist erstaunlich wie das hören der Stolpersteine einen direkt hineinversetzen in Zeitmomente an denen ich zumindest nicht persönlich teilgenommen habe. Die Angst, Erschütterung und doch auch die Präsenz der Personen die geehrt werden ist real spürbar und vermittelt Mitmenschlichkeit, Erinnern, Bewahren, welches heute & jetzt unabdinglich sind. Die Stolpersteine in akustischer Form lassen kein sich nicht stellen, nicht einlassen zu. Und das ist gut und notwendig. Vielen Dank der Künstlerin
I.W.

http://www.wirwarennachbarn.de